Die Zeit ist dein Bauwerk

Die Zeit ist dein Bauwerk

Obwohl ich nicht weg will aus diesem schönen, warmen Ort in Griechenland mit seinem unendlichen Meer, in dem sich täglich neue Blautöne entdecken lassen, seinem unfassbar weiten Sternenhimmel mit den unzähligen Sternschnuppen, die stets unerwartet vom Himmel sausen, seinen von der Sonne aufgewärmten Steinen, auf denen es sich nächtens so wunderbar aushalten lässt, seinen versteckten Schatten- und Yogaplätzen, die ich nun je nach Tageszeit unterschiedlich aufzusuchen weiß, ist die Zeit dort abgelaufen. Egal, ob ich versuche, die Tage gut auszunützen oder einfach nur in sie hineinlebe, sie richtiggehend vertrödle, ohne etwas Sinnvolles zu machen, verrinnt mir die Zeit wie Sand unter den Fingern. Ich packe meine Koffer und verlasse den Ort, der mir so vertraut geworden ist. Jenen Ort, in dem ich ganz besondere, richtungsweisende Bücher lesen durfte. Jenen Ort, an dem ich in tiefste Meditationen versank, die mir Tränen hervorlockten. Jenen Ort, an dem mir meine verstorbenen Eltern so nahe waren wie selten zuvor. Jenen Ort, an dem ich so vieler gedachte, deren Zeit hier abgelaufen und unwiederbringlich vorbei ist. Jenen Ort, an dem ich Kraft und Hoffnung schöpfte und wieder ein Stückchen Heilung erfahren durfte.

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Du bist wertvoll

Muschel im Sand - Du bist wertvoll wie eine Muschel auch wenn du nur ein Stein bist

Jetzt weint sie schon seit einer gefühlten Ewigkeit. Ihre Freundin hat eine Muschel gefunden, eine ganz große. Wir suchen und suchen, aber so eine schöne findet sich am ganzen Strand nicht mehr. Ich hab noch nie so etwas Tolles gefunden, schluchzt sie verzweifelt. Nie entdecke ich etwas Spannendes. Nie tauche ich etwas Interessantes auf. Nie bin ich die Schnellere, nie …

Aber geh, sage ich nach der langen Reihe ihrer Aufzählungen. Du kannst doch dieses und jenes so gut. Du bist doch wertvoll, genauso wie du bist. Aber es nützt nichts. Während dem vergeblichen Versuch, sie zu trösten, entdecke ich eine Gemeinsamkeit. Auch ich war stets ein Durchschnittskind. Ich konnte nie etwas besonders. Nicht am schnellsten laufen, am weitesten springen, am tollsten Witze erzählen. Vielleicht habe ich den ein oder anderen guten Aufsatz geschrieben, aber eine mir innewohnende Bescheidenheit hat es mir nicht erlaubt, darauf groß stolz zu sein.

Warum eigentlich nicht?

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Wann bin ich frei?

Möwe - Wann bin ich frei? Hope and Shine

Bin ich frei, wenn ich frei habe? Wenn ich das Glück habe, wochenlang ohne Weckerläuten aufwachen zu dürfen und zwar genau dann, wenn die Dosis Schlaf, die ich abbekommen habe, für meinen Organismus reicht? Bin ich frei, wenn ich nach Herzenslust Bücher lesen kann, so wie ich es mir immer gewünscht habe, alle, die auf meiner Liste stehen durchackere, bis mir die Buchstaben vor den Augen verschwimmen? Bin ich frei, wenn ich alle Abende durchwegs im dünnsten Sommerkleid verbringen kann, ohne zu frieren, obwohl es nicht unüblich ist, dass es mich auch im Sommer fröstelt? Bin ich frei, wenn ich nächtens aus einer Laune heraus ein Eis esse, sogar eins mit vielen Kalorien, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, obwohl ich normalerweise selbst an heißen Tagen vorsichtig abwäge, ob dieses Eis nun wirklich unerlässlich ist? Bin ich frei, wenn ich mit meinem Kind Hand in Hand ins Wasser springe, ohne mir die Nase zuzuhalten? Bin ich frei, wenn ich im Lotussitz über die Weite des Meeres blicke so wie in all den Yoga-Videos, die ich mir daheim sehnsüchtig angesehen habe? Bin ich frei, wenn ich mich über die lähmende WLAN-Verbindung freue, anstatt betrübt zu sein, weil das mit dem Handyfasten vielleicht doch noch was wird? Bin ich frei, wenn ich das laute Zikadengeschnatter, das mich nachts oft weckt, liebgewonnen habe?

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Wie ich fast nicht ankam

Wie ich fast nicht ankam - der Mond über Kreta - hope and shine!

Auch wenn alles, was das Auge sieht, schön ist, so atemberaubend schön, dass es das Auge beruhigt, heißt es noch lange nicht, dass der Geist es ihm gleichtut. Wenn man wegfährt von zu Hause und nach einem ruhigen Flug und einer sanften Landung, nach der geklatscht wird und selber klatscht man sogar mit, ohne dass es einem peinlich ist, so ansteckend ist die ausgelassene Fröhlichkeit rundum und nach einer Autofahrt, die kürzer dauert als angenommen mit einem Taxifahrer, der einen charmant überredet, nur ja nicht den Bus zu nehmen und weit einfühlsamer ist als erwartet, weil er den Tonregler am Radioapparat sofort leiser dreht, als er merkt, dass man droht einzuschlafen, wenn man dann ankommt und dort alles so vorfindet, wie man es sich vorgestellt hat, so präzise, dass man die echten Bilder kaum von jenen im Internet unterscheiden kann und gar nicht überrascht und aus dem Häuschen ist, sondern alles vertraut und gelassen anblickt, als hätte man es schon wochenlang jeden Tag angesehen, heißt das noch lange nicht, dass man selbst gelassen ist.

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Der Fluss des Lebens

Der Fluss des Lebens - Fluss in der Abendsonne, Hope and Shine

Ich mache jetzt täglich Yoga. Begonnen hat das Ganze in einer Phase, in der ich wieder einmal diesen schier selbstzerstörerischen Zwang hatte, mich sowie jedes und alles zu hinterfragen. Ob der Weg, den ich beschreite, auch wirklich der meine ist. Ob ich auch alles richtig mache, mit dem Kind und so. Was von dem, das ich mache, nun wirklich ich bin und was davon ich übernommen habe von Eltern und Vorfahren und ob das nun auch wirklich zu mir gehört. Was ich meinem Kind unbewusst weitergebe und ihm wer weiß was alles damit antue. Wie ich mit Kritik umgehe und was dahinter liegt, wenn ich mich am Schlips getreten fühle. Wie ich mit der Trauer umgehe und ob es nicht dann schön langsam genug ist damit.

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Urlaub von der Ehe

2 Ringe

Eigentlich hat er damit angefangen. Er hat seinen Ehering abgenommen. Oder soll ich sagen unseren? Irgendwie sind sie ja beide unsere Ringe, auch wenn der auf seinem Finger eher seiner und der auf meinem eher meiner ist. Unserer beider Namen sind in die Innenseite graviert, wir bezeugen unser Ehegelübde damit, also sind es unsere Eheringe, alle zwei.

Er sei ihm zu klein geworden, meint er. Enge ihn ein, es tue ihm schon weh. Man kann tatsächlich einen kreisförmigen Abdruck sehen an jener Stelle, an der der Ring jahrelang sein Dasein fristete. Seine Hände haben sich verformt, warum auch immer, obwohl er abgenommen hat, wurden die Finger auf einmal breiter. Er müsse ihn größer machen lassen bei Gelegenheit, sagt er pflichtbewusst.

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Sich sorgen oder sich freuen?

Auszeit am Liegestuhl am Meer

Ich bin schon aufgeregt. Bald hab ich acht Wochen frei. Ein Sabbatical und vier Wochen Urlaub und unser mitarbeiterfreundliches Unternehmen ermöglichen mir dieses herrliche Unterfangen. Acht Wochen. Das letzte Mal hatte ich so viel freie Zeit am Stück, als ich Schulferien hatte. Ganze vier Wochen davon werde ich am Meer verbringen. In einem Appartement auf Kreta mit Blick zum Ozean.

Natürlich war meine erste Intention, als ich diesen Plan heckte, meinem Kind durchgängig entspannte Ferien zu gönnen. Ferien, in denen ich sie nicht ständig aufwecken und wohin bringen musste. Ferien, in denen sie nicht in den von ihr ungeliebten Hort zu gehen hatte. Ferien, in denen auch wir ausreichend Zeit verbringen konnten. Und zwar von der Sorte Quality Time, von der es während der Schulzeit ja viel zu wenig gibt.

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Nach dem ersten Jahr

Nach dem ersten Jahr - Meerfoto

Nun ist das erste Trauerjahr nach Papas Tod vorüber. Es ist ja ein ganz besonderes, dieses erste Jahr. Alles geschieht zum ersten Mal ohne ihn, ohne einem Treffen, ohne einem Anruf, ohne einem sorglosen “bis zum nächsten Mal“, ohne “ruf wieder einmal an“. Irgendwann geht plötzlich alles wie gewohnt weiter und doch ist nichts mehr, wie es war.

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Was bleibt ist die Erinnerung

Tee - Erinnerungen an Mama

Als ich am Begräbnistag die vielen Hände schüttle, die Umarmungen erwidere oder auch nicht, ich weiß es nicht mehr genau, nehme ich die vielen Beileidsbekundungen, alle Worte, die an mich gerichtet werden im liebevollen Versuch, mich zu trösten, stumpf zur Kenntnis. Du trägst sie immer im Herzen, sagen sie und was bleibt, ist die Erinnerung, die kann dir keiner nehmen.

Was tu ich mit einer Erinnerung, denke ich, ich brauche eine echte Mama, eine lebendige, eine, die mich freudestrahlend begrüßt, eine die mir Tee kocht oder Suppe oder zumindest eine, der ich Tee kochen kann oder Suppe. Eine zum Umarmen, eine, deren Hand ich streicheln kann, eine zum Reden und zum Zuhören, eine zum Lachen, eine, für die mein Kuchen der Beste auf der Welt ist, eine, die mich nimmt wie ich bin und die mich kennt wie sonst keine.

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Der Fünfzehnte

der 15. am Kalender

15. Februar, stelle ich mit einem Blick auf den Bürokalender nüchtern fest und schon möchte ich eilig weitertippen an meinem Beitrag, der am Montag fertig sein muss, da kommt mir dieser 15. mit einem Mal so bedeutsam vor. Ich muss innehalten, augenblicklich, es lässt mich nicht los. Stark und eigen ist dieses Gefühl, ich kann es nicht zuordnen. Am 15. März hat mein Mann Geburtstag, fällt es mir erleichtert ein, deshalb starrt mich diese Zahl heute so bedeutungsvoll an. Aber nein, das ist es nicht, es ist etwas anderes. Ich spüre es. Mein Magen krampft sich zusammen und da weiß ich es. Mein Papa, er ist an einem 15. gestorben. Am 15. März, vor fast einem Jahr also. Am Geburtstag meines Mannes.

Heute vor einem Jahr, da hat er noch gelebt. Heute vor einem Jahr, da war er noch voller Pläne und Ideen. Ängsten wahrscheinlich, vor dem bevorstehenden Krankenhausaufenthalt und allem was kommen würde. Sorgen, ob es die Operation brauchen und wie er sie überstehen würde. Voller Hoffnung aber auch, voller Leben, voller Tatendrang, voll seinem Charme und seinem Witz. Unvorstellbar, dass er einen Monat später nicht mehr da sein sollte. Hätte ich etwas anders gemacht, wenn ich das gewusst hätte? Hätte ich noch mehr tun können für ihn?

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