Auch wenn alles, was das Auge sieht, schön ist, so atemberaubend schön, dass es das Auge beruhigt, heißt es noch lange nicht, dass der Geist es ihm gleichtut. Wenn man wegfährt von zu Hause und nach einem ruhigen Flug und einer sanften Landung, nach der geklatscht wird und selber klatscht man sogar mit, ohne dass es einem peinlich ist, so ansteckend ist die ausgelassene Fröhlichkeit rundum und nach einer Autofahrt, die kürzer dauert als angenommen mit einem Taxifahrer, der einen charmant überredet, nur ja nicht den Bus zu nehmen und weit einfühlsamer ist als erwartet, weil er den Tonregler am Radioapparat sofort leiser dreht, als er merkt, dass man droht einzuschlafen, wenn man dann ankommt und dort alles so vorfindet, wie man es sich vorgestellt hat, so präzise, dass man die echten Bilder kaum von jenen im Internet unterscheiden kann und gar nicht überrascht und aus dem Häuschen ist, sondern alles vertraut und gelassen anblickt, als hätte man es schon wochenlang jeden Tag angesehen, heißt das noch lange nicht, dass man selbst gelassen ist.
Wenn es einem die Menschen, auf die man trifft, einfach machen, weil sie freundlich sind, nicht höflich-freundlich, sondern über die Maßen freundlich, nicht künstlich-freundlich, sondern von innen her freundlich, die Frauen mit Herzenswärme und Gastfreundschaft ausgestattet, die Männer einem rücksichtsvoll, hilfsbereit und mit einem Augenzwinkern begegnen, heißt es noch lange nicht, dass man selbst voll Wärme und Augenzwinkern ist. Wenn die Hitze heiß, aber erträglich, das Wasser erfrischend, aber nicht zu kalt ist, wenn das Meer da ist, so nahe, dass man es vom Zimmer aus sehen kann, wenn man viel lacht, viel atmet und viel schaut, wenn man viel Zeit und das schönste Buch mit hat, das, bei dem man schon befürchtet hat, man hätte vielleicht das falsche eingepackt, aber es enttäuscht einen nicht, ganz im Gegenteil, es übertrifft sogar alle Erwartungen, die man an ein Buch stellt, denn es ist mit vielen wunderschönen, tiefsinnigen Sätzen gespickt, wenn alles so ist, wie man es wollte, nämlich nicht fast so, sondern ganz genauso, heißt das noch lange nicht, dass man bei sich ist. Wenn man nichts muss, so gar nichts und viel Zeit zum Nachdenken hat, fragt man sich plötzlich, darf man das überhaupt – so gar nichts tun? Darf man – wohl ahnend, dass die Daheimgebliebenen arbeitend und mit Alltagskram beschäftigt sind – sich diesem Wunder hier einfach hingeben, gedankenlos? Darf man denn nur lachen, atmen und schauen? Muss man nicht auch irgendetwas? War da nicht etwas, das es zu erledigen gibt? Ein Frühstück machen, etwas einkaufen gehen, Yoga!?
Wenigstens die paar Strohhalme gibt es, an denen ich mich festhalten kann. Die paar Tätigkeiten, die es mir erlauben, dann wieder ein bisschen nichts zu tun. Aber auch bei diesem Nichtstun weiß ich, dass ich zwar da bin, aber bei Gott noch nicht angekommen.
Ich bin unruhig, denke zu viele Gedanken und gleich alle auf einmal, schleppe ständig etwas zu lesen und zu schreiben herbei und kann mich nicht entscheiden, was davon ich nun angehen soll. Ich blicke aufs Meer und denke, jetzt schaue ich einmal nur und während ich schon anfange, auf mich stolz zu sein, weil ich jetzt wirklich nur schaue, merke ich, dass ich schon wieder denke, viel zu viel denke, die Gedanken fliegen nur so vor meiner Nase herum. Ich überlege, ob ich ins Wasser gehen soll oder den Laptop auspacken und tue nichts davon. Ich grüble darüber nach, ob ich auch das Handy selten genug benutze, weil ich doch auch etwas Urlaub vom Handy machen wollte und schaffe es dann doch nicht. Ich sehe weiße Möwen übers Meer segeln, die für mich der Inbegriff von Freiheit, Endlosigkeit und Sorglosigkeit sind, aber all diese Attribute haben in mir noch nicht Platz gefunden.
Wie immer sind mir die Nächte am liebsten. Wenn ich nicht mehr viel sehen kann und die Dunkelheit beginnt, mich Stück für Stück zu umfangen. Wenn ich nur noch lausche und wahrnehme. Stürmisch und dennoch beruhigend das Meer, sanft die streunende Katze, die mich täglich besucht und um meine Beine streicht, aufgeregt die Zikaden, die sich in der Nacht immer besonders viel zu erzählen haben. Wenn der warme Wind, der ganz bestimmt aus Afrika kommt, einen starken Luftstoß macht und mein Haar zerzaust und die Blätter über mir rascheln. Wenn mir Duft von wildem Thymian und allerlei nicht zuordenbaren Gewürzen in die Nase steigt. Wenn ich die Sternenbilder, die mir meine Freundin damals erklärt hat, weil der Freund ihrer älteren Schwester sich für Astronomie interessierte, alle finde. Wenn ich den Mond entdecke, denjenigen, über den meine Tochter immer sagt, denselben sieht die Oma daheim jetzt auch.
Dann formt sich vor mir einer der schönen Sätze aus meinem schönen Buch, der da heißt, “Im Leben geht es vor allem darum, eine Intimität mit der Welt herzustellen“ und fast glaube ich, dass dies so ein intimer Moment sein könnte. Dann entstehen hundertstel Sekunden ganz ohne Gedanken. Dann gibt es Minizeitfenster innerer Ruhe. Dann tue ich und muss ich nichts.
2 Kommentare
Wunderschöner Beitrag! Danke herzlich für die, für mich so passende Inspiration 🙂
Alles Liebe, deine Melanie
Danke liebe Mel, so schön das von dir zu hören. Ich bin überzeugt, wir schaffen auch das Ankommen 🙃😘 Ganz lieben Gruß, Gabi