Mein Nacken ist verspannt, mein rechter Arm hat sich im Kabel der Nachttischlampe verheddert. Ich winde mich aus der von mir unbewusst im Schlaf gewählten, unbehaglichen Position, bette mein Gesicht wieder auf den zerknautschten Polster. Es liegt eine bleierne Starrheit auf mir, die mir zwar nichts Gutes verheißt, aber vertraut geworden ist. Schwere, Kummer, Traurigkeit sind meine Gäste, ich begrüße sie freundlich, ertrage es geduldig, mein nächtliches Aufwachpersonal, umspüle es mit einem Schluck lauwarmen Wasser, decke es sorgsam zu, wie ein Kind, dessen Träume ich nicht zerstören will. Ich habe gelernt, mit ihm zu leben, denn bei Tageslicht hat es die Güte, sich zurückzuziehen in unbekannte Territorien, um mir in der Dunkelheit verlässlich wieder die Aufwartung zu machen.
Auf ins Wunderland
Ich gehe durch eine wattigweiche Welt. Rosa Wolken formen über mir Herzen und Sterne und Tierfiguren, die mir vergnügt zuzwinkern. Ein Regenbogen spannt in schillerndsten Farben seinen schützenden Bogen über mich. All die Menschen, die mir begegnen, wenden sich mir erfreut zu. Wir reißen uns die Masken von den Gesichtern, unsere Antlitze strahlen im Sonnenschein um die Wette. Der warme Wind liebkost unsere Körper, bis sie engelsgleich zu leuchten beginnen. Wir fassen uns an den Händen, unsere Beine tanzen, unsere Kehlen singen, jede unserer Zelle ist voll Übermut.
Ein Licht am Horizont
Manchmal, wenn ich die Augen schließe und mich auf den Punkt zwischen meinen Augenbrauen konzentriere, erscheint ein mildes, gelbes Licht. Wenn ich Glück habe, bleibt es für eine Weile. Und an manchen Tagen, da sehe ich einen Strahl dieses Lichts wandern. Er durchwandert meinen Körper, Stück für Stück, gelangt bis in den Bauch und manchmal sogar bis zu den Zehenspitzen.
Und plötzlich ist nichts
Meine Kehle ist trocken, es kommen keine Worte mehr. Alles ist gesagt, alles gefragt, alles getan. Mein Körper ist schlaff, matt und reglos liegt er da.
Was war ich stolz auf mich und dann wieder enttäuscht von mir. Habe durchgeatmet, die Zähne zusammengebissen, durchgehalten. Ich bin hingefallen, darnieder gelegen, bin aufgestanden, habe von vorne begonnen. Habe Versuche gestartet, immer wieder Neues probiert, Dinge verändert, bin in alte Muster verfallen. War sanft und verständnisvoll, hart und unerbittlich. Habe mich aufgebäumt, um mich dann wieder hinzugeben.
Meine Freundin, die Angst
Es waren schöne Urlaubstage. Gespickt mit Waldspaziergängen, beraureiften Bäumen und ganzen Tagen, an denen ich keinen Schritt vor die Tür setzen musste. Und dennoch, zur Ruhe gekommen bin ich nicht. Werde ich je wieder zur Ruhe kommen, frage ich mich, in dieser Zeit der Unruhe, die mich nicht einschlafen und zu Unzeiten aufwachen lässt. Die meine Gedanken nicht verstummen lässt, auch wenn ich eine Meditation nach der anderen höre. Die mir den Hals eng macht trotz Bewusstheits- und Atemübungen. Die mir trotz herbeigedachter Zuversicht und vorgetäuschtem Optimismus den ersten Home Schooling-Tag nicht gelingen lässt. Die meine Nerven, die ich dachte gestärkt zu haben, mitsamt der Internet-Verbindung niederbrechen lässt.
Wie ich mich in das Jetzt verliebte
Ich habe mich an das neue Leben gewöhnt. Das Arbeiten zuhause wird routinierter. Das außerschulische Lernen bekommt schön langsam Strukturen. Phasen des Aus-der-Haut-Fahrens wechseln mit Phasen noch nie dagewesener Entspannung. Phasen von ungewöhnlicher Gedankentiefe weichen der Erwartungslosigkeit. Die Sehnsucht nach Menschen und Abwechslung, nach mehr Leben im Haus, nach gehaltvollen Gesprächen face to face, nach sorglosen Blödeleien und spontanem Scherzen, nach Situationskomik, die kein digitales Medium herbeizuführen vermag, die nur in der realen Welt erlebt werden kann, steigt. Die Tatsache, wieder ein Buchgeschäft betreten zu dürfen, von Regal zu Regal zu streifen, in unterschiedlichsten Exemplaren zu schmökern, sie in meinen desinfizierten Händen zu halten, ist ein erwartetes Highlight. Ich erdulde nachsichtig das Fernbleiben des köstlichen Geruches, dieser herrlich einzigartigen Duftnote, die nur ein frisch gedrucktes, neu entpacktes Buch zu verströmen vermag, jedoch aufgrund von Nasen-Mundschutz-Maske diesmal nicht wahrgenommen werden kann.
Befreiung durch Coronavirus?
Du, Mama, sagt sie, eine Lehrerin habe heute in der Schule geweint. Es ist kurz vor dem Einschlafen und eigentlich sollte ich nicht mehr auf ihre hundert Fragen und Bemerkungen eingehen, mit denen sie den Schlaf gern hinauszögert. Aber ich bin plötzlich hellwach. Die Lehrerin mache sich solche Sorgen wegen dem allem, murmelt mein Kind noch, kurz bevor es wegdämmert.
Wie deine Schwingungen die Welt verändern
Meine Freundin ist erstaunt. Ein Freund hat ihr eine Nachricht geschrieben: „Weil du mir schon so viel geholfen hast, möchte ich jetzt dir helfen.“ Wie meint er das, ich habe doch gar nichts gemacht, beteuert sie verdutzt. Vielleicht halt mal zugehört. Aber sonst?
Ich weiß, dass meine Freundin sehr gut zuhören kann. Sehr gut ermutigen kann, wenn man Ermutigung braucht. Sehr gut ironisch sein und kluge Scherze machen kann, wenn die Situation eine Prise Humor vertragen kann. Sehr gut beruhigen und einen auf den Boden bringen kann, wenn man denkt, man ist mit einem gewissen Problem allein auf der Welt.
Was ist deine tiefste Sehnsucht?
Zieht es dich zu einem Menschen, bei dem du nicht sein kannst? Vielleicht weil er dir seine Liebe verwehrt, zu weit weg ist oder bereits verstorben ist? Zieht es dich in die Ferne, an einen unbestimmten Ort, an dem du dir vorstellst, viel freier sein zu können als hier oder an einen bestimmten Platz aus Jugend- oder Kindheitstagen? Oder sehnst du dich einfach nach Wärme im Winter und Rückzug, wenn es hektisch ist?
Möglicherweise trägst auch du eine unbewusste Sehnsucht in dir. Im Trubel des Alltags jedoch lassen wir diese selten an die Oberfläche. So liegt sie unbemerkt, verschüttet unter einem Haufen Alltagskram und produziert zuweilen ein nicht zuordenbares, unangenehmes Gefühl in uns. Wir sind traurig und wissen nicht warum, bekümmert oder einfach schlecht gelaunt. In einem Seminar höre ich von einem befreienden Lösungsansatz: Sich seiner tiefsten Sehnsucht zu stellen und im besten Fall mit ihr in Kontakt zu treten, kann ganz vieles in uns heilen.
Ein neues Gefühl
Es begann schon etwas fragwürdig, dieses Fest. Bereits Tage davor stellte sich eine zweifelhafte Harmonie ein, das Kind kam ungewohnt schnell allen Aufgaben nach, die man ihm übertrug, erschien merkwürdig ausgeglichen und steckte einen an mit seinem ungestümen Herumgehüpfe, mit dem Aufgeregtsein, mit dem Neugierigsein, mit dem Sich-Freuen auf diesen besonderen Tag, der, so denkt man, doch nur für Kinder diesen besonderen Zauber zu haben hat.
Aber, so stellt man plötzlich überrascht fest, er hat die ganzen Jahre hindurch nichts an Magie eingebüßt, man ist selber wieder so aufgeregt wie ein Kind. Vorfreudig nestelt man an den letzten Vorbereitungen herum, um dann gerührt vor diesem Baum zu stehen, der mit demselben Christbaumschmuck wie all die Jahre zuvor behangen wurde, von dem derselbe Duft nach Tannennadeln, Wunderkerzen und Süßigkeiten ausgeht wie immer, es gibt nichts Neues und Ungewöhnliches zu sehen an diesem Baum, die Kontur ist die einzige alljährliche Veränderung an ihm, ansonsten scheint alles wie sonst auch – und trotzdem übermannt einen das Besondere, das Außergewöhnliche dieses Tages, das kein Festtag im Jahr toppen kann, in diesem Moment, in diesen Düften, in dieser Dunkelheit durchbrochen nur durch Kerzenlicht. Und plötzlich weiß man, dieser Tag wird immer seinen Zauber haben, er wird ihn nicht verlieren, keines Jahres wird er einem egal sein, dieser eine Tag im Jahr, der nur wie ein Teil des Tages heißt, dieser heilige Abend.