Mein Nacken ist verspannt, mein rechter Arm hat sich im Kabel der Nachttischlampe verheddert. Ich winde mich aus der von mir unbewusst im Schlaf gewählten, unbehaglichen Position, bette mein Gesicht wieder auf den zerknautschten Polster. Es liegt eine bleierne Starrheit auf mir, die mir zwar nichts Gutes verheißt, aber vertraut geworden ist. Schwere, Kummer, Traurigkeit sind meine Gäste, ich begrüße sie freundlich, ertrage es geduldig, mein nächtliches Aufwachpersonal, umspüle es mit einem Schluck lauwarmen Wasser, decke es sorgsam zu, wie ein Kind, dessen Träume ich nicht zerstören will. Ich habe gelernt, mit ihm zu leben, denn bei Tageslicht hat es die Güte, sich zurückzuziehen in unbekannte Territorien, um mir in der Dunkelheit verlässlich wieder die Aufwartung zu machen.
Aber etwas ist anders geworden. Die Bedrückung beklemmender, die Schwere bleierner. Die Erlaubnis, mich an den Schönheiten des Lebens erfreuen zu dürfen, ist um ein Vielfaches gesunken. Der Kummer erscheint legitimer und die Schwere wird zu einem natürlichen Aggregatszustand. Ein neuer Strom tut sich auf, der mächtiger ist, als alle Flüsse, die in mir plätschern. Er brennt scharf wie Ethanol meine Kehle entlang, nistet sich wie ein zielstrebiger Wasserfall zwischen Herz- und Bauchraum ein, wo er sich auch bei Tagesanbruch breitmacht und nicht daran denkt, höflich anderem den Platz anzubieten.
Entschlossen stopfe ich den Störenfried in die hinterste Schublade, lege Schicht um Schicht darüber, beschwere ihn mit jeglichem Kram, den ich finden kann; schreibe, rede, schiebe ihn beiseite. Stets bin ich auf der Suche nach Pflichten, die mich gänzlich vereinnahmen, ich laufe, putze, telefoniere, scrolle, nur ja nicht zur Ruhe kommen, nur ja nicht. Doch auch aus dem hintersten Winkel wagt er sich hervor, tippt mir nervös auf die Schulter, haucht mir Abstruses ins Ohr, während ich in vermeintlich wichtige Dokumente eintauche und geschäftig den Kopf in Angelegenheiten stecke, deren Verrichtung im Moment gänzlich unverschiebbar scheint.
Verkrampft versuche ich, meine Mimik entspannt aussehen zu lassen, ich lache lauter als nötig, um von der tickenden Zeitbombe abzulenken, die jeden Augenblick wie plötzlich zu neuem Leben erwachter, abgestandener Schaumwein aus meinem gut gehüteten Versteck emporzuschießen droht. Ich halte die Luft an, zähle bis hundert, bete konzentriert To-Do-Listen und Affirmationen herunter und banne die Gefahr.
Doch ich spüre, wie es unter der Oberfläche brodelt. Bald wird das Fass überlaufen. Bald wird es kein Halten mehr geben und kein Verdrängen, keine Kraft in mir wird zu mobilisieren sein, die dagegenhalten kann, er wird stärker sein als ich.
Ich werde ihn zeigen, meinen Schmerz. Ich werde ihn offen zur Schau tragen müssen, werde ihn entblößen, ihn aus der hintersten Reihe auf die Bühne hinausjagen, ins Rampenlicht stellen, von allen Seiten grell beleuchten. Wie ein Kavalier werde ich ihn ausführen, an feine und an weniger feine, an alle Orte.
Allen werde ich ihn unter die Nase halten und durch dieses Gesehen-werden-dürfen wird er sich wie eine Explosion aus mir ergießen, wie Knallkörper als bunte Pünktchen gen Himmel sausen, wird sich räkeln, sich strecken, sich formen, sich wandeln. Wie ein Schmetterling sich entpuppen und schließlich werden wir erschöpft, aber erleichtert, uns paaren zu etwas Neuem, das noch kraftvoller ist, als wir jemals waren.
Die Offenbarung meines Schmerzes wird eine Befreiung sein, die sich jetzt schon anbahnt. Während ich meinen Kopf auf das frisch aufgeschüttelte Kissen platziere, legt sich eine leise Leichtigkeit über mich, beginnen sich Spannungen in meinem Nacken langsam zu lösen, Starrheit und Schwere verformen sich gemächlich in etwas Weiches, Elastisches, Verkrampfungen werden stückweise losgelassen und eine allmähliche Vorfreude macht sich in mir breit, denn eine leise Ahnung lässt mich wittern, dass ich und mein Schmerz – wenn nicht morgen, dann übermorgen – mit Sternspritzern im Kopf, Gummibällen im Bauch, Musik in unseren Adern wie auf rosa Zuckerwatte gebettet, befreit aufwachen werden.
Ein Kommentar
Schreiben, zeigen, wahrnehmen… vielleicht vollzieht sich darin schon eine kleine Verwandlung… ich wünsche es…