Eigentlich hat er damit angefangen. Er hat seinen Ehering abgenommen. Oder soll ich sagen unseren? Irgendwie sind sie ja beide unsere Ringe, auch wenn der auf seinem Finger eher seiner und der auf meinem eher meiner ist. Unserer beider Namen sind in die Innenseite graviert, wir bezeugen unser Ehegelübde damit, also sind es unsere Eheringe, alle zwei.
Er sei ihm zu klein geworden, meint er. Enge ihn ein, es tue ihm schon weh. Man kann tatsächlich einen kreisförmigen Abdruck sehen an jener Stelle, an der der Ring jahrelang sein Dasein fristete. Seine Hände haben sich verformt, warum auch immer, obwohl er abgenommen hat, wurden die Finger auf einmal breiter. Er müsse ihn größer machen lassen bei Gelegenheit, sagt er pflichtbewusst.
Ich sehe ihn täglich liegen, unseren Ehering. Auf dem Ablagebrett in der Küche neben dem Tischkalender. Wochenlang liegt er dort und rührt sich nicht von der Stelle. Argwöhnisch beäuge ich ihn. Schnippisch, so kommt mir vor, starrt er zurück.
War er ihm wirklich nur körperlich zu klein geworden, überlege ich. War es nicht vielleicht ein Zeichen, dass ihm auch die Beziehung zu eng geworden war? Wollte er nach außen lieber als Singlemensch auftreten? Er, der Familienmensch, der mich stets stolz seine Frau nennt. Der mich vermisst, sobald ich einen Tag weg bin. Der stets vorschlägt, mehr Zeit miteinander zu verbringen, aber nie schaffen wir es, diesen Vorsatz einzuhalten.
An einem geselligen Abend mit Wein und guter Laune verspüre plötzlich ich den Drang, unseren Ehering von meinem Finger zu nehmen. Der, der seit Jahren Tag und Nacht nirgendwo anders gewesen ist, als auf meinem Ringfinger liegt nun vor mir. Ich schaue ihn an, als sähe ich ihn zum ersten Mal. Er hat etwas an Glanz verloren, aber im Licht funkelt er noch immer. Ich blicke auf meine unberingte Hand. Es fühlt sich ungewohnt an, aber gut. Unkompliziert, leicht. Ich wundere mich. Ich habe diesen Ring doch stets gern getragen. Ich mag die Sicherheit, die er ausstrahlt. Die Sicherheit, jemanden an meiner Seite zu haben. Und – obwohl ich das nie von mir dachte – trage ich diese wohl auch gern nach außen.
Ich drehe meine Hand im Kreis. Ich spreize die Finger. An der Innenseite des Ringfingers hat sich eine leichte Hornhaut gebildet, die sich zu freuen scheint über das Ausbleiben des leichten Drucks. Ich lehne mich zurück. Etwas in mir entspannt sich. Ich fühle mich plötzlich jung. Unverheiratet. Bilder aus unbeschwerten Tagen tauchen auf. Wir zwei ohne großartige Pflichten, mit allerlei Unfug im Kopf. Mit Parties und langem Ausschlafen. Wir, auf einem Motorrad durch Griechenland brausend. Wir, im Auto mit herunter gekurbelten Fensterscheiben und lauter Musik. Wir, ohne Verantwortung, ohne organisatorischem Meisterleistungsdenken punkto Kind, Haushalt, Job, Familie. Wir, wie wir nichts müssen. Für niemanden da sein, für niemanden ein Vorbild sein und schon gar nicht erzieherisch sein. Wir, wie wir waren.
Du, sage ich versonnen, was hältst du davon, wenn wir in den Urlaub ohne die Ringe fahren. Wir können sie so nicht verlieren im Meer oder so und außerdem – ich zögere – vielleicht fühlen wir uns so wie früher. Ohne Pflichten, Verantwortungen und Gespräche über Kindererziehung. Ohne diesen ganzen Organisationskram und …
Er muss lachen. Ich muss auch lachen. Er setzt diesen Blick auf. Ich weiß, dass er gleich nicken wird.
Ich glaub, dieser Urlaub, der wird richtig gut.
Ein Kommentar
Jetzt hab ich mich aber kurz erschrocken 🤦🏼♀️ Sag mit wem bist du eigentlich auf dem Motorrad durch Griechenland gefahren???? Und wenn ich dir sag das sich hier und jetzt segeln genauso anfühlt 👍🏻 Würdest du dann mal mitkommen !!!??? Mit euch könnt das auch soooo richtig cool werden !!!!!