Ich gehe mit meiner neu gewonnen Ruhe durch die Stadt. Ich fühle mich anders als früher, neue Schwingungen pulsieren in mir. Unaufgeregt marschiere ich langsamen Schrittes, bedächtig inspiziere ich alles, als wäre es neu für mich. Die Zeit, in der ich nirgends hinmusste, nichts schaffen musste, nicht an meiner Leistung gemessen wurde, hat vieles neu geordnet. Ein Anker ist in mir entstanden, er scheint stabil zu sein und lässt mich schwerlich aus der Ruhe kommen. Ein Strahlen ist in mir, das keiner außer mir bemerkt, vielleicht ist es auch etwas anderes, etwas Helles, Leichtes, es fühlt sich gut an.
Die Arbeit geht mir leicht von der Hand. Ich lasse mich nicht hetzen, ich bleibe in meinem Tempo. Ich vertraue darauf, dass sich alles ausgehen wird, alles zu schaffen ist. Ich versuche, öfters tief in den Bauch hineinzuatmen. Ich lasse mich nicht mitreißen von der Hektik, die in der Luft liegt.
Jedoch wird es immer lauter rund um mich. Unruhige Traupen bilden sich, Horden mit bunten Taschen, Schirmen und Aktenkoffern strömen in meine Richtung. Ich habe kaum Platz, alles bewegt sich auf mich zu, ich komme nicht mehr voran. Ich versuche ruhig zu bleiben in dem Strom, aber ich habe keine Chance. Ich finde mich mitten in einer Energie, die mir fremd geworden ist. Es ist zu laut, zu schrill, zu grell. Ich will mich schützen, will von hier weg oder unsichtbar sein. Mein Hals verengt sich, Beklommenheit steigt in mir hoch. Meine Gelassenheit ist in Gefahr, ich habe Angst um sie, um sie und meinen neuen Anker. Beide sind sie noch zarte Pflänzchen, hoffentlich überstehen sie die entgegenkommenden Stürme. Hoffentlich hält sich der neu gewonnene Gleichmut, die hinübergerettete Leichtigkeit des Sommers und das errungene Vertrauen, dass alles zum richtigen Zeitpunkt geschehen wird.
„Du musst dein Ändern leben“,
erst kürzlich habe ich diese Zeilen von Rainer Maria Rilke gelesen. Mir wird klar, dass ich daran arbeiten muss, wenn ich mir dieses neuartige Wohlergehen erhalten will. Ich muss lernen, mich mithilfe von Bildern zurückzuziehen aus einem Jetzt, indem ich mich nicht wohlfühle. Lernen, mich abzugrenzen und versuchen, meine Sinne zuzuklappen, wenn die Reize überquellen. Manchmal nein sagen und öfters durchatmen, wenn ein Widerstand in mir aufzukeimen droht oder bevor ich überhaupt etwas sage. Es geht nicht ganz von selbst, aber ich bin überzeugt, es geht.
Ich bin durch die Massen hindurch gekommen, ich habe es geschafft. Ich nehme mir vor, mein Ändern zu üben. Die Herausforderungen, die auf mich zukommen, werden meine Lehrer sein. Ich werde trainieren, mich im größten Gewirr zurückzuziehen und unter den stärksten Meinungsmachern bei mir zu bleiben. Ich werde üben, still zu sein, wo es laut ist, ruhig zu bleiben, wo Unruhe herrscht. So oft ich kann, werde ich zurückkehren zu meinem innersten Ich, das jenseits von Alltagstrubel und Gehetztheit liegt. Zu diesem Ort, an dem der höchste Friede und die größte Freiheit zu finden ist. Zu diesem Ort, der mir von allen Plätzen, die ich kenne, der vertrauteste ist. Ich werde lernen, alle Hürden auf dem Weg dorthin zu überwinden, um immer wieder zu ihm zu gelangen – an diesen Ort, an dem ich schon immer war. An diesen Ort, an dem ich zuhause bin.