Was wünschst du dir eigentlich so sehr, fragt meine Tochter gespannt, als wir wieder einmal das Handythema diskutieren und ich sie nochmals auf ihren nächsten Geburtstag vertröste. Sie scheint erstaunt darüber, dass ich nicht aus der Pistole geschossen antworte, sondern meine Stirn runzle und offensichtlich erst jetzt in diesem Augenblick, als sie die Frage an mich richtet, anfange, darüber nachzudenken. Sie wundert sich, dass es für mich nicht dieses heiß ersehnte Etwas gibt, ein Etwas, das ich mir so sehr wünsche, dass es mir sofort auf den Lippen liegt, ich es prompt parat habe, wenn ich danach gefragt werde, so wie es für sie das erträumte Handy ist. Dieses eine Etwas, das die Welt perfekt und vollkommen machen würde und mit dem man – wenn man es denn endlich hätte – sich vorstellt, nie wieder im Leben unglücklich zu sein.
Ich denke nach, krampfhaft grüble ich, was es sein könnte, aber mir fällt nichts ein, nichts will mir in den Sinn kommen. Wann habe ich verlernt, mir etwas zu wünschen, wann und warum ist es mir abhanden gekommen? In der Pubertät, als junger Erwachsener oder noch früher? Kann ich es nicht mehr, weil ich mir meine Wünsche ohnehin meist selbst erfülle, weil ich die Geduld nicht mehr aufbringe, um zu warten auf einen besonderen Anlass, zu dem mir möglicherweise das Richtige geschenkt wird? Könnte ich es wieder lernen, das Beschenktwerden, auf etwas warten können, mich überraschen lassen?
Vielleicht könnte es ein Buch sein, das ich mir wünsche, ein sehr spezielles Buch, ein tiefsinniges, aufschlussreiches Buch, ein dicker Wälzer, einer, den ich mir bislang nicht zulegen wollte, weil mir die verfügbare Zeit, um es zu lesen, von vornherein nicht ausreichend erschien, also wünschte ich mir am besten dieses eine Buch, von dem ich nicht einmal weiß, welchen Titel es haben könnte, sowie die nötige Zeit dazu. Oder könnte es ein Kleidungsstück sein, etwas Ausgefallenes, etwas, das ich mir bislang nicht kaufen wollte, weil mir die passende Festivität dazu fehlte und ich mir etwas so Besonderes nicht aneignen wollte, da die Aussicht, es oft zu tragen, nicht sehr hoch erschien?
Oder ist es etwas ganz anderes, das ich mir von Herzen wünsche, worüber ich mich so sehr freuen würde wie mein Kind über ein Handy?
Ist mein sehnlichster Wunsch nicht viel mehr als der nach Büchern und Kleidung jener nach möglichst vielen sinnigen Gesprächen, nach Dialogen, die oft tiefer werden, als man vorweg gedacht hatte, nach solchen, die sich unerwartet und zufällig ergeben, oft auf der Straße oder sogar zwischen Tür und Angel stattfinden oder wenn man gerade auf die Schnellbahn wartet und man es eigentlich eilig gehabt hätte, aber man augenblicklich spürt, dass es sich lohnt, diese Zeit dem heutigen Tag wegzustehlen, es sich sogar lohnt, einen Zug zu versäumen und zu spät zu kommen, obwohl man es hasst, sich zu verspäten, aber man ist in einen magischen Bann gezogen, etwas zwingt einen, andächtig zuzuhören, genauso wie einem andächtig zugehört wird und danach, da merkt man, dass soeben etwas Besonderes vor sich gegangen ist, weil das Gespräch wohlig nachwirkt, länger als andere Gespräche das tun, es einem öfters in den Sinn kommt und jedes Mal hinterlässt der Gedanke an dieses eine Gespräch einen kleinen, aber spürbaren Lichtstrahl in einem.
Wünsche ich mir nicht viel mehr als ein in Geschenkpapier eingepacktes Geschenk wertschätzende Worte mitten an einem Tag, der nicht in die Gänge kommen will, der gleichmütig linear verläuft, an einem, an dem ich mich redlich bemühe und trotzdem scheitere, nur ein ganz klein wenig, es bleibt nach außen unbemerkt, aber es reicht aus, dass ich kleinlauter werde und verunsichert bin, wenn an diesem Tag, der noch dazu ein düsterer und nebelig trüber Tag ist, das mein Scheitern hervorheben will, ihm mehr Gewicht zu geben vermag, als dies ein sonniger Tag jemals zuwege bringen könnte, wenn mir nun an einem solchen Tag ein ehrlich gemeinter, mir wohlgesonnener Satz entgegen fliegt, ein inniger Dank aus tiefstem Herzen, der mehr ist, als eine bloße Höflichkeit, etwas, das mir ein Lächeln ins Gesicht zaubert, vielleicht sogar zart mein Herz berührt und es einen kleinen Sprung machen lässt?
Sehne ich mich nicht viel mehr als nach Dingen, die man kaufen kann, dass wir die Eigenheiten und Andersartigkeit unseres Gegenübers annehmen, seine Vergangenheit akzeptieren und nicht aus unseren eigenen Mängeln heraus Scherze machen oder kritisieren wollen, sondern danach, dass das einzige, das für uns von Belang ist, das einzige, das Bedeutung hat in unserem Leben und worum sich unsere Konversationen drehen mögen, Ideen sind, die in uns gären und aus der Taufe gehoben werden wollen, Visionen, die wir verspüren, aber es noch nicht gewagt haben, sie zu verfolgen, sie aber in Worte gefasst sofort groß werden und uns zur Tat schreiten lassen würden, Träume, die wir verwirklichen möchten und die wir mutig wagen, sie unserem Gegenüber anzuvertrauen, weil sie gar nicht lächerlich sein können und dann, wenn sie laut werden durften, wenn sie einmal ausgesprochen wurden, plötzlich in eine erste Form schlüpfen?
Wünsche ich mir nicht viel mehr, dass wir uns leichtfüßig bekennen können zu allen Anteilen in uns und es uns deshalb auch ein Leichtes ist, jegliche Anteile des anderen anzuerkennen und wir uns gegenseitig nichts mehr vormachen müssen? Sehne ich mich nicht viel mehr danach, mich von Alltagssituationen berühren zu lassen und mich in diesen Augenblicken meiner Tränen nicht zu schämen?
„Wünsche sind die zukünftigen Schöpfungsimpulse deiner Seele“, lese ich,
„in deinen Wünschen kannst du erkennen, wo die nächste Veränderung deines Lebens hingehen kann.“
So wie meine Tochter sich mit ihrem sehnlichsten Wunsch verändern will, indem sie ihr Netz ausweiten, ihre Fühler strecken und selbstständig Kontakte pflegen und steuern will, so gibt es auch einen Weg, meine sehnlichsten Wünsche selbstständig zu steuern und in Erfüllung gehen zu lassen. Ich kann mir meine Welt erschaffen, so wie ich sie haben möchte, indem ich so denke, handle und sie so sehe, wie ich gesehen werden will. So wie es das Gesetz der Anziehung besagt, dass jeder Gedanke, jedes Gefühl, jedes Wort und jede Tat die Möglichkeit gibt, in den Spiegel zu schauen, so ist jeder von uns wie ein Projektor, der den äußeren Film seines Lebens durch das erschafft, was er im Inneren ist.
Also ist es an mir, Dinge zu sagen, die wohlig nachwirken, ist es an mir, achtsam zu bleiben, damit mir keiner dieser besonderen, magischen Gesprächsmomente je entgeht, sie sogar mehr und mehr werden und hinter Türchen hervorkommen, hinter die ich bislang nicht geblickt hatte. Es ist an mir, in der Hektik des Alltags offen zu bleiben für Dialoge, die sich gut anfühlen, wohlgesonnene Sätze auf Reisen zu schicken und Lichtstrahlen zu entdecken oder vielleicht sogar zu entzünden. Es ist an mir, mich berühren zu lassen und jedes meiner Gefühle willkommen zu heißen und sie alle nicht nach innen, sondern nach außen zu leben. Es ist an mir, wachsam zu sein für jeden Funken einer Idee, jeden Anflug einer Vision, jeden Beginn eines Traumes und womöglich ist es auch an mir, das ein oder andere Herz zum Hüpfen zu bringen. Es ist an mir, mich in Selbstliebe zu üben und Liebe zu geben, vorurteilsfrei zu sein und zu mir zu stehen in schwachen und in starken Momenten, im Scheitern und im Straucheln, an trüben und an sonnigen Tagen. Es ist an mir, all die Schöpfungsimpulse meiner Seele wahrzunehmen und immer wieder nach der Veränderung, die ich brauche, zu streben und zu handeln. Es ist immer wieder an mir, mich wachzurütteln, dranzubleiben und es wieder und wieder zu versuchen.
Denn das Leben kann gewiss so etwas wie Erfüllung und die Welt so etwas wie perfekt sein – zumindest beinahe so perfekt, so grenzenlos und so bunt, so weit, sorglos und hell, wie sie es in der Vorstellung einer Zehnjährigen bei Erfüllung ihres sehnlichsten Herzenswunsches ist.