Die Liebe ist das Größte

Gesteck in Herzform am Grab - Die Liebe ist das Größte

Es gibt so Tage, da erwischt es mich. Vielleicht liegt es am Nebel, am Sprühregen, am November oder an Allerheiligen an sich. An den Liedern, die von einem bestimmten Radiosender gespielt werden und einem bewusst machen, wie viele Namen von Leuten man schon kennt, die bereits gestorben sind. An dem ein oder anderen nachdenklichen Text, den man dieser Tage gern liest. Am Gesteck, das man aussucht, um es aufs Grab zu legen. An der Grabkerze, für die man sich letztendlich entscheidet, obwohl keiner der aufgedruckten Sprüche gut genug erscheint.

Und auch wenn man meint, diesen Allerheiligentag ganz gut geschafft zu haben, wiewohl man wieder seine Tränen vergossen hat, aber dann am Friedhof, als man die Augen schloss und durch die geschlossenen Lider hindurch drang ein Licht, und zwar ein strahlendes, ein gelbes Licht, eines, das an den Rändern orange zu werden begann, und inmitten dieses wunderschönen Lichtes konnte man plötzlich seine lieben Verstorbenen sehen, sie lachten, wirkten befreit, sprühten vor Lebensfreude, da dachte man, dass man sie nun vielleicht überstanden haben könnte, die Trauerarbeit und den Rest des Lebens damit zubringen würde, hoffnungsfroh und zuversichtlich zu sein.

Wenn Tage später jedoch, mitten an einem normalen Wochentag am Nachhauseweg vom Büro, nachdem man sich einen Platz in der U-Bahn ergattert hatte und man gerade erlöst in den Sitz sinken möchte, plötzlich die Tränen zu fließen beginnen und nicht mehr aufhören wollen, spätestens dann weiß man, sie ist noch zu Gast, die Trauer, sie ist wieder ganz in einem angekommen und hat sich augenfällig breit gemacht.

Grabkerze - Gesteck - Wir vermissen dich Schild am Grab - Die Liebe ist das GrößteWas ist es, das du so sehr an ihr vermisst, fragt meine Freundin, als ich ihr gestehe, dass ich zurzeit besonders um meine Mama weinen muss.

Ja, was ist es nun genau? Ich vermisse ihre Bescheidenheit – ihr ganzes Leben war sie so bescheiden, dass fast alles zu schade war für sie und es wunderte uns nicht, nach ihrem Tod originalverpackte Gegenstände zu finden. Ich vermisse ihre Sanftmut, die gepaart mit ihrer Gutmütigkeit sie nicht selten ein Auge zudrücken ließ und uns nicht formen wollte, zu etwas, das wir nicht sein wollten. Ich vermisse ihr selbst gebackenes Brot, das sie jahrzehntelang geknetet und geformt hat und das das Beste am Planeten war. Ihre Vanillekipferl, die sie auf Wunsch auch im August buk und die niemand, auch wenn er sich noch so bemühen und genau dieses Rezept verwenden würde, je so hinbekommen könnte wie sie. Ihren Tee, der den ganzen Tag über am Herd stand und jederzeit verfügbar war – in jeder Lebenslage und zu jeder Tages- und Nachtzeit gab es Tee, ob warm oder kalt und kein Tee der Welt würde ihm je das Wasser reichen können. Die Hingabe, mit der sie ihre Pflanzen umsorgte, welche dies auch zu schätzen wussten, indem sie immer wieder überdimensional blühten. Die Aufmerksamkeit, mit der sie neue Kleidungsstücke und jedes noch so kleine neue Accessoire an mir bemerkte. Ich vermisse die Garantie, mit der sie als vielleicht der einzige Mensch auf der Welt über meine Witze lachte und vor allem vermisse ich ihre unbändige Freude, mit der sie mich stets empfing – kein Mensch konnte sich so überschwänglich und mit solch strahlenden Augen über meinen Besuch freuen wie meine Mutter.

Ich vermisse sie als Ganzes. Ich vermisse ihr Mutterherz, das mich ohne Wenn und Aber stets zu lieben vermochte, wie ich bin.

Cookie mit Staubzuckerherz - Die Liebe ist das Größte - Hope and Shine

Und als ich nach all meinen Überlegungen und Tränen, Gesprächen und Gedanken meine Mutter wieder in diesem gelb-orangen Licht zu sehen beginne und mein Herz sich aufmacht, befreit weit zu werden, klopfe ich ihr im Geiste auf die Schulter.

Denn wir müssen wie sie keine großen Dinge vollbringen, müssen uns nicht in Büchern oder auf Denkmälern verewigt wissen, müssen keine Lieder schreiben, die nach unserem Tod im Radio an uns erinnern, müssen nicht Werke erschaffen, die weiterleben.

Das einzige, das wir zu tun haben, das Wertvollste, Höchste, Bedeutsamste, das wir unseren Lieben hinterlassen können, ist in unserer reinsten, gleichwohl demütigsten wie stolzesten Form grenzenlos zu lieben.

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2 Kommentare

  1. Wie wundervoll du deine Mama beschreiben kannst! 💓
    Sei dankbar, dass du sie so lange haben konntest, dass du so reif und klug warst, so tief zu empfinden, so klar wahrzunehmen und so intensiv zu erinnern!
    Ich hab Papa zwar auch noch als warmen, weichen (wenn er es als Mann zulassen konnte) und wundervollen Papa in Erinnerung, aber wenn du deine Mama so beschreibst, bin ich 13 und da steht sie klar und deutlich vor mir, ich rieche ihr frisches Brot, sehe die Küche mit dem Topf mit Tee, höre ihre Aufforderung, doch noch zum Jausen zu bleiben, obwohl es schon Zeit zum Heimgehen wäre (ich konnte dem auch nie wi(derstehen)! Danke für die Erinnerung!❤
    Monika

    1. Danke – so schön, dass du sie auch so in Erinnerung hast! Ja, wir dürfen beide dankbar sein, Kinder von so großartigen Menschen sein zu dürfen!! 💗

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