Mein Klavier auf Reisen

Mein Klavier auf Reisen

Es sind zwar nicht die klassischen Klavierfinger die meinen, aber sie hatten damals Klavierunterricht. Mein Papa hatte die geniale Idee – er war immer voller Ideen – und hat mir, als ich 10 war, einen Stelzhammer-Flügel gekauft. 20.000,– Schilling hat ihm der Spaß gekostet und der neue Schreibtisch musste aus dem Wohnzimmer weichen, aber es war ihm die Sache wert.

Ich war eine brave Klavierschülerin. Auf meine Hausaufgaben bekam ich stets einen Einser, sogar einen römischen oft. Den gab es damals noch und ich frage mich gerade, wie man sowas Antiquiertes auf den heutigen Tastaturen ausdrückt.

Meine Klavierkarriere endete ziemlich abrupt nach der Hauptschule. Nach Geburt meines Kindes packte mich erneut das Fieber und ich kaufte mir ein E-Piano, aus Platz- und praktischen Gründen. Und auch wenn ich heute nur in der Adventszeit oder zu Weihnachten spiele, bin ich meinem Papa sehr dankbar für seinen damaligen Vorschlag, auf den ich selber nie gekommen wäre.

Leider war der Flügel schon immer recht groß. Nach einigen Umbauarbeiten landete er in diversen Lagerhallen. Auch wenn ich mir noch so sehr den Kopf zerbrach, wo ich das gute Stück unterbringen könnte, um es in meiner Nähe zu haben, es fiel mir beim besten Willen kein Winkel ein, wo ich es hineinstopfen hätte können.

Es half nichts, man musste das gute Ding verkaufen. Nach mehreren erfolglosen Anläufen klappte es und mein Bruder erzählte mir begeistert, das Klavier würde nach Wien kommen! Mein Herz schlug höher. Ich sah es als Fügung des Schicksals, dass es wie durch ein Wunder den weiten Weg von meinem Heimatort im Mostviertel in die Stadt, in der ich nun lebte, gefunden hatte.

Mein Klavier auf Reisen

Es hätte jedoch einen Nachteil, dämpfte mein Bruder meine Euphorie. Das Klavier wurde für eine Ausstellung des Palais Niederösterreich gekauft, „Die vergessene Revolution 1848“. Um einen möglichst realen Eindruck der Zerstörung von damals zu vermitteln, würde es zertrümmert werden.
Aufgeregt pilgerte ich an den Ort des Geschehens. Nachdenklich dann. Besorgt schließlich. Wie konnte ich mir das antun? Der Anblick meines kaputten Klaviers, das jahrzehntelang das elterliche Wohnzimmer geschmückt hatte, würde all den Kummer über den Tod meiner Eltern wieder aufrühren. Das Vergängliche würde mir brutal vor Augen geführt werden. Die Tatsache, dass nach dem Tod meiner Eltern nichts mehr so ist, wie es einmal war, würde so präsent sein, wie schon lange nicht. Ich würde weinen müssen oder weinen wollen und nicht können wegen all der ahnungslosen Messebesucher rundherum. Es würde fatal werden.

Ich entdeckte es sofort. Es war nicht zu übersehen. Es war der Mittelpunkt der Ausstellung. Trotz der feinen Staubschicht an seinem vertrauten samtbraunen Rücken überstrahlte es den Raum. Es war nicht zertrümmert, nur mit Brettern vernagelt. Die Tasten gaben leise, verstimmte Klänge von sich. „Die ganze Welt ist zum Verzweifeln traurig“ prangte am Tastaturendeckel.

Ich war betroffen über die Traurigkeit des Satzes. Demütig vor dem Elend der damaligen Zeit. Hier an diesem geschichtsträchtigen Ort stand mein altes Klavier. Es spielte eine Rolle. Es hatte einen Auftrag bekommen. Als Mahnmal von Gewalt und Krieg durfte es eine Botschaft transportieren. Zwischen vielen Bildern war es das einzige aussagekräftige Möbelstück.

Plötzlich wurde mir alles klar. Genauso wie mein Klavier nicht zertrümmert war, waren meine Eltern nicht vergänglich. Meine Erinnerungen und Gedanken an sie waren lebhaft und stark. In meinem Leben würden sie immer eine Rolle spielen, ob tot oder lebendig. Ihre Ideen wirken noch heute in mir nach und sie werden dies auch weiterhin tun. Das Leben würde immer wieder Wege gehen, um mir dies zu zeigen. Und Papa, der wäre bestimmt ganz besonders stolz auf den prominenten Platz unseres Klaviers.

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